Handwerk

Kunsthandwerk in Ladinien

Das Kunsthandwerk gewinnt für die Ladiner erst im späten 18. Jahrhundert eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Jedes Tal entwickelt eine eigene Produktion: Ampezzo spezialisiert sich auf Schmuck- und Souvenirgegenstände aus Silberfiligran für den aufblühenden Tourismus. In Gröden entsteht neben der religiösen Bildhauerei eine riesige Spielzeugindustrie, die Heimarbeit mit Welthandel verbindet. Aus dem Fassatal ziehen Jahr für Jahr Wandermaler nach Tirol und Südbayern, wo sie Hausfassaden, Stuben und Möbel mit ihren bunten Ornamenten schmücken. Das Gadertal exportiert Truhen mit einem unverkennbaren Dekor in die Tiroler Region.

Zwischen den beiden Weltkriegen brechen die letzten kunsthandwerklichen Produktionen unter den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und dem großen Konkurrenzdruck zusammen. Heute erinnert nur mehr die Produktion der Grödner Holzskulpturen an die einstige wirtschaftliche Bedeutung des Kunsthandwerks in Ladinien.

Grödner Spielzeugindustrie

Im 19. Jahrhundert verlassen jährlich Millionen Holzspielzeuge das Grödnerental. Puppen jeder Art und Größe, Schaukelpferde, Tierfiguren und vielfältiges Spielzeug überschwemmen die Märkte Europas und Amerikas. Im 18. Jahrhundert nach Nebenerwerb der Bauern, entwickelt sich die Spielzeugschnitzerei im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Heimindustrie: Um 1850 arbeiten im Grödental bis zu 2500 Schnitzer und Schnitzerinnen. Die ganze Familie ist eingebunden, sogar die Kinder müssen einfache Handgriffe ausführen. Tag für Tag und nicht selten die halbe Nacht, erzeugen die Heimarbeiter riesige Spielzeugmenge.

Qualitätsabfall und wachsende Konkurrenz bringen die exportorientierte Grödner Spielzeugindustrie um 1900 zum Erliegen. Die im 17.Jh. entstandene religiöse und profane Schnitzkunst bietet den Grödnern auch heute noch nennenswerte Verdienstmöglichkeiten.

Wandermaler aus dem Fassatal

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschlechtert sich das Leben der Menschen im Fassatal durch Kriege, hohe Steuern, Krankheit und Missernten. Aberglauben und Magie finden ihren Niederschlag im Symbolismus und Abwehrzauber der Fassaner Dekormalerei. Leuchtende Farben und eine Vielfalt an Ornamenten überziehen Hausfassaden, Stuben, Möbel und Gebrauchsgegenstände.

Ein großer Teil der Männer verbessert das karge Leben durch zusätzliche Einkünfte außerhalb des Tals: das farbenfrohe Dekor findet vor allem in ländlichen Regionen Mitteleuropas großen Gefallen. Die Fassaner Maler wandern zu Fuß durch die Dolomitentäler und über die Alpenpässe nach Norden. Sie arbeiten in Vorarlberg, Tirol, im Salzburger Land und in Südbayern ebenso wie in der Steiermark und in Kärnten. Ihre Spuren finden sich auch in der Schweiz und selbst in Ungarn. Postkarten - oftmals handgemalt - berichten über Reiseziele, Kontakte und Erlebnisse der Maler. Die Wanderschaft der Männer bürdet den Frauen im Fassatal zusätzlich zu Haushalt und Familie die gesamte Feldarbeit auf.

Gadertaler Truhentischler

Die Enneberger oder Gadertaler Truhen nehmen unter den ladinischen Möbeln eine Sonderstellung ein. Die Vorderfront der Sockeltruhen zeigt eine klare architektonische Gliederung. In den Feldern mit aufgelegten Rundbögen, Maßwerkauflagen u.a. wirken ornamentale Traditionen der Renaissance nach. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tritt eine reiche, einfarbig hinterlegte Flach- schnittornamentik als neues dekoratives Element hinzu.

Die verfeinerte Tischlerarbeit entwickelt sich im 18. und 19. Jahrhundert zu einem Nebenerwerb, vor allem der Kleinbauern. Sie verkaufen viele Truhen in den ladinischen Tälern, aber auch nach Tirol.

Silberfiligran aus Cortina d´Ampezzo

Venezianische Goldschmiede beeinflussen die Herstellung von Frauenschmuck aus dünnen geflochtenen Silberfäden im 18. Jahrhundert in Cortina. 1874 richtet die lokale Kunstschule einen speziellen Lehrgang für Filigrankunst ein. Die Technik verfeinert sich in der Folge, die Produktpalette wird wesentlich erweitert. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt der Fremdenverkehr stark zu und steigert den Bedarf an Souvenirs. Beide Faktoren führen zu einer Blüte der Ampezzaner Filigrantechnik, die sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Berühmt werden besonders die detailgetreuen Nachahmungen von Blumen, vor allem Edelweiß, Maiglöckchen und Anemonen.

Schließlich überwiegen kommerzielle Interessen das Streben nach Innovation, die künstlerisch orientierte Ausbildung verliert an Bedeutung. 1894 schließt die Kunstschule - kreative Erneuerung bleibt aus. Trotzdem lebt die Filigranproduktion in Ampezzo bis zum Zusammenbruch des lokalen und internationalen Marktes zu Beginn des ersten Weltkriegs weiter.